"Wach auf, deine Schicht fängt an!" brüllte Paul und trat mit seinem Stiefel gegen das Bett in dem Luk sofort aufschrak.
"Jeden Abend die gleiche Scheiße mit dir." sagte er und setzte sich auf
die Couch. Luk sah sich schlaftrunken um und nach all den vergangen
Wochen brauchte er immer noch recht lang, um zu kapieren, was los war.
"Können wir das nicht ausfallen lassen? Ich bin so verdammt müde."
murmelte er und setzte sich auf die Bettkante. "Am Arsch!" erwiderte
Paul. "Ich lauf doch nicht den ganzen Tag durch die Gegend und mach mir
Gedanken, damit du schlafen kannst." Paul begann ein Buch zu lesen, das
er aus seinem Rucksack genommen hatte.
"Darf ich vorher etwas essen?" Luk rieb sich die Augen. Sein Kopf
dröhnte. "Haben wir irgendeine Suppe? Ich weiß nicht, ob ich schon kauen
kann." Er steckte sich einen Finger in den Mund und betastete seine
vorderen Schneidezähne, die bis zur Hälfte abgebrochen wahren. Als er
auf die Bruchstellen tippte, zuckte er zischend zusammen. "Fuck. Ich
glaube, an dieser Scheiße werde ich noch sterben."
Paul warf sein Buch aufgeklappt zur Seite. "Okay, jetzt reicht's mir.
Ich mach dir ein Angebot." Er deutete drohend mit dem Zeigefinger
richtung Luk, der sich langsam die Schläfen massierte. "Du
brauchst
heute nicht los, wenn ich meinen Vorschlag von gestern durchziehen kann.
Irgendwas muss passieren, sonst entzündet sich der Dreck und ich habe
noch eine Leiche zu verbrennen."
"Ich möchte nur nochmals anmerken, dass das deine Schuld war." murmelte
Luk mit geschlossenen Augen. "Fang nicht wieder damit an!" fauchte Paul
und senkte seinen Blick.
Sie beide hatten trainiert und dabei bekam Luk versehentlich einen
Ellenbogen ins Gesicht. Sowas passierte halt bei Sparringskämpfen.
Dennoch tat es Paul sehr leid, seinem nun einzigen Freund auf der Welt
so etwas anzutun.
Luk saß weiterhin so da, bis er schließlich aufstand. "Haben wir irgendwas zur betäubung?"
Paul hob seinen Blick und sah ihn nachdenklich an.
Luk wusste, dass er sich manchmal wie eine Memme verhielt und eigentlich
glücklich sein sollte, einer der wenigen Überlebenden zu sein. Viel
glücklicher war er darüber, dass tatsächlich jemand den er schon zur
Zeit der Zivilisation kannte, auch überlebt und er ihn getroffen hatte.
"Ich hab letztens eine Morphin-Spritze mit aus dem Krankenhaus mitgehen
lassen. Ich glaub' aber, dass die gekühlt gelagert werden muss und ich
weiß auch nicht, wie man das Zeug dosiert. Ich will dich nicht damit
in's Nirwana schießen, verstehst du?" sagte er und gönnte Luk einen
seiner seltenen mitfühlenden Blicke.
Luk seufzte tief. "Ich hol den Whiskey, du holst den Lötzinn..."
Einige Minuten Später trafen sie sich wieder in Luk's Zimmer. "Das wird
nicht einfach. Für uns beide nicht." Sagte Paul. "Nimm einen Schluck,
spül' deinen Mund damit aus und dann leg dich hin."
Luk nahm einen mittelgroßen Schluck des guten Whiskeys, den sie für
schlechte Zeiten aus dem Einkaufszentrum mitgenommen hatten. Er spürte
ein Stechen, das bis hoch in seine Augen reichte, öffnete dennoch nicht
seinen Mund. Ein Schrei war durch seine verschlossenen Lippen zu höhren.
Als er den Alkohol heruntergeschluckt hatte, legte er sich sofort auf
die Couch. "Bitte pass auf. Ich will den scheiß nicht auf dem Gaumen
haben."
"Ich pass auf." Sagte Paul, während er etwas Zinn auf einem Löffel über einer Kerze erhitzte.
Paul knipste seine Batteriebetriebene Helmlampe an, die er auf dem Kopf
trug, um besser in den Mund seines Freundes sehen zu können. Als das
Zinn ganz geschmolzen war, tupfte er ein Wattestäbchen hinein und strich
es dann zielgenau auf einem der Zähne ab.
Ein gellender Schrei fuhr durch das Zimmer und wahrscheinlich auch die gesamte Umgebung.
Luk setzte sich auf, hielt sich den Mund und sein ganzer Körper
verkrampfte sich vor Schmerz. Das stechen in seinem Schädel war so
stark, dass er befürchtete, eines seiner Augen würde platzen.
"Leg dich wieder hin, ich muss sehen, ob es geklappt hat." Sagte Paul
ruhig und drückte ihn mit einer Hand an der Schulter herunter.
Jammernd und weinend öffnete Luk wieder seinen Mund und entblößte den
gut verschlossenen Zahn. Paul schaute mitleidig. "Gut. Nun der andere."
Luk schloss den Mund und schlug sich die Hände vor das Gesicht.
"Ich weiß, dass du weißt, wie sich ein entzündeter Zahn anfühlt. Wäre dir das lieber?"
"Nein." wimmerte Luk nach einigen Momenten und entblößte den wohl
erbärmlichsten Gesichtsausdruck, den Paul wohl jemals gesegen hat.
Langsam öffnete Luk den Mund, wobei ihm ein weiterer Schwall Tränen aus
den zugekniffenen Augen quoll.
Beim zweiten Mal schloss Luk nicht sofort den Mund, damit das Zinn
schneller auskühlen konnte, schrie aber dennoch all seine Schmerzen
hinaus.
Als Paul sich vergewissert hatte, dass auch der zweite Zahn geschlossen
war, legte er seinem Freund die Hand auf die Stirn. "Das hast du gut
gemacht." Er lächelte.
Luk blinzelte erschlagen und griff keuchend nach der Whiskeyflasche. Er
nippte daran und spülte sich den Mund aus, der von einem verbrannten
Geschmack erfüllt war.
"Zumindest liegen die Nerven jetzt wirklich nicht mehr blank." sagte er
und quälte sich auch zu einem Lächeln. Paul nahm ihm die Flasche ab und
nahm seinerseits einen Schluck. "Willst du 'nen Spiegel? Sieht garnicht
mal so schlecht aus."
"Nein. Ich glaube eher Weniger, dass das hier noch jemanden
interessiert. Vielleicht können wir irgendwann richtige Zähne drauf
modellieren, aber jetzt hab ich erst einmal die Nase voll."
Beide lachten und nahmen noch ein paar Schlücke von der Flasche, dann
fand die tägliche Lagebesprechung statt. Luk willigte ein, seine heutige
Aufgabe dennoch zu erfüllen, nachdem er ein paar Schmerztabletten
genommen hatte. Also spannte er seinen Bogen und steckte die schwarz
lackierte Machete in seinen Köcher wie er es immer tat, wenn er zum
Einkaufszentrum ging.
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