Dienstag, 12. Mai 2015

"Deep Darkness" - von Marius

"Ganz ruhig", sagte er zu sich und atmete tief durch. Er warf einen Blick über die Schulter und war erleichtert, als er hinter sich nichts als karge Steppe sah.
"Genau wie vorhin, nicht verrückt machen lassen". Er machte ein paar unsichere Schritte nach vorn und erstarrte, als die Dunkelheit des Waldes ihn verschlang. "Wie kann das sein?", dachte sich Walter, "gerade hat noch die Sonne geschienen und meinen Rücken gewärmt.“.
Seine Nackenhaare stellten sich auf bei der kalten Brise, die über sein Gesicht fuhr. "Ganz ruhig, du bist Walter, Walter Wallace. Ein einfacher Buchhalter aus Philadelphia". Er ging weiter in den Wald hinein, angetrieben von der Angst vor dem, das ihn verfolgte, die stärker war als die Unsicherheit und Furcht vor dem was ihn erwartete. Er sah sich um. Nichts als dicke, knorrige Baumstämme mit gewundenen Ästen, wie zur Begrüßung ausgebreitet, nur um im nächsten Moment mit tödlicher Kraft zuzudrücken. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Sein Atem wurde schneller und er begann weiter in den dichten Wald hinein zu laufen. Man hatte ihn gewarnt vor diesem Wald.
Mary und die anderen hatten ihn gewarnt. Doch er hatte keine andere Wahl. Die Zentrale zu erreichen war alles was zählte, endlich wollte Walter klarheit. "Sei gewarnt vor dem Wald, dessen Mächte werden dich vereinnahmen.", hatte die Alte gesagt.

Walter schüttelte den Kopf, um einen klaren Blick zu bekommen. Er machte einen Schritt nach dem anderen, sich immer wieder nach Gefahr umsehend. Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn und schrie auf, als ihm etwas von hinten die Beine weg zog. Er landete hart auf einer Wurzel und für einen Moment blieb ihm der Atem weg. Was konnte das gewesen sein? Es hatte sich in keinster Weise angekündigt, weder ein Geräusch noch eine Bewegung hatte er ausmachen können. Ächzend richtete er sich auf und begann schneller zu laufen. "Wer ist das, wer ist das hinter mir?", dachte er und die Angst in ihm wuchs. Es war die unnatürliche Stille und die Dunkelheit, die ihn verunsicherten. Immer wieder warf er einen Blick über die Schulter und stolperte einige Male über Wurzeln die fast den gesamten Waldboden bedeckten. Plötzlich war er auf einer baumlosen Lichtung, die aber trotzdem in völliger Dunkelheit lag. Er blickte nach oben und konnte nichts als schwarz erkennen. "Was ist das für ein Ort?, sagte er und der nächste Satz blieb ihm im Hals stecken, als sich sein Blick wieder nach vorn richtete und er zwei weiß schimmernde Lichtpunkte sah, die auf ihn zuflogen. Wie die Augen eines Vogels oder eines Raubtieres rasten die Punkte auf ihn zu und als sie nur noch wenige Schritte entfernt waren wurde er von einem mächtigen Windstoß von den Füßen gerissen. Er schrie entsetzt auf und rollte sich zur Seite. Blind vor Angst rappelte er sich auf und stolperte nach vorn in die dichten Bäume. Er rannte, bis ihm die Luft weg blieb und er sich erschöpft an einem Baumstamm fest hielt, um Luft zu holen. Er hatte genug von diesem Wald. Gerade als er weiter gehen wollte, erstarrte er zu einer Salzsäule, als ein markerschütternder Schrei in seine Ohren drang. Walter konnte keine Richtung ausmachen, aus der der Schrei kommen konnte. Stattdessen dröhnte er von allen Seiten und hinterließ einen langen Pfeifton in Walters Ohren. "Ich will hier raus!", schrie er und sank auf die Knie. Eine Träne lief seine Nase herab und tropfte auf den trockenen Waldboden. "Weiter, immer weiter haben sie gesagt. Lass dich nicht von deinem Ziel ablenken!". Er rieb sich die Augen und stand stöhnend auf, seine Muskeln brannten von seiner Flucht. Es mussten Stunden vergangen sein, seit er den Wald betreten hatte und nichts gab den Anhaltspunkt, dass er seinem Ende näher kam. Alles glich sich wie ein Ei dem Anderen. Als Walter müde wurde und sich Gedanken machte, ob es eine gute Idee wäre, sich hier schlafen zu legen, sah er ein schwaches Licht. Die Furcht wich schnell, denn das war kein Licht wie das, was er zuvor gesehen hatte. Dieses war warm und einladend. Wie von allein setzten sich seine Beine in Bewegung und gingen langsam auf das kleine Licht zu. Er bemerkte, dass er wieder auf einer dieser dunklen Lichtungen war. Ein lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er das Glühwürmchen erkannte. Es flog munter um einen kleinen Busch herum, der ganz allein auf der runden Lichtung stand. Alle Sorgen waren vergessen und Walter wurde gewärmt von dem kleinen Licht und der Freude, die dieses in ihm auslöste. "Kleines Würmchen!", sagte er vergnügt und streckte die Hand nach dem Busch aus. Er war weich und feucht vom Tau, der auf den kleinen Blättern lag. Das Glühwürmchen flog in kreisenden Bahnen um den Strauch herum und landete schließlich auf Walters Hand. Er lachte und machte einen Freudensprung, der das Glühwürmchen aufschreckte und wieder zum Busch fliegen ließ. "Nicht abhauen!", rief er und schnappte danach, konnte es aber nicht fangen. Es flog noch ein paar Sekunden, bis es plötzlich zu flackern begann und in einer kreisenden Flugbahn zu Boden sank. "Neein.", sagte Walter leise und zärtlich. "Kleines Licht, nicht weggehen." Das Glühwürmchen hinterließ eine drückende Dunkelheit und in Walter stieg die Sehnsucht nach Licht. Er kramte in seiner Tasche und fand schließlich, was er gesucht hatte. Er zündete ein Streichholz an und beobachtete die Flamme interessiert. Ein Grinsen breitete sich wieder auf seinem Gesicht aus und er benutzte das Streichholz, um sich gleich ein neues anzuzünden.
Das Feuer faszinierte ihn, zog ihn in seinen Bann. Es genügte ihm nicht. Er wollte mehr. Er sah sich um und erblickte den Busch vor sich, den er ganz vergessen hatte. Er nahm ein Streichholz und hielt die Flamme an eines der Blätter, das zu seiner überraschung augenblicklich begann zu brennen. Er war froh darüber, denn der Busch war nass gewesen, als er mit den Händen darüber gestrichen hatte. Immer schneller breitete sich die Flamme aus und züngelte immer wieder nach oben. "Ja, mehr!", rief er und stieß einen Freudenschrei aus, als der ganze Busch in einer Stichflamme aufloderte. Das Feuer breitete sich aus. Der Boden fing Feuer und die Flammen leckten an den Baumstämmen, die ebenfalls schnell Feuer fingen. Schnell war Walter hell erleuchtet vom Feuer, das die ganze Lichtung in oranges Licht tauchte. Er lachte in wilder Glückseligkeit und breitete die Arme aus, während er sich drehte und die Wärme der Flammen genoss. "Mehr! Mehr! Meeehr!", schrie er aus vollem Hals und seinen Augen weiteten sich. Wie von weitem spürte er etwas an seiner Hand. Es fühlte sich an, als ob sein Arm eingeschlafen wäre und nun wieder erwachte. Ein leichtes kribbeln, was sich seinen Unterarm hinaufzog. Als er einen Blick darauf warf, bemerkte er, dass sein Arm in Brand steckte. Fasziniert sah er von seinen Fingern zu seinem Ellenbogen und wieder zurück. Plötzlich verwandelte sich das kribbeln in einen beißenden Schmerz, der ihm Tränen in die Augen trieb. Er schrie und fuchtelte wild mit dem Arm in der Luft, im Versuch das Feuer zu ersticken. Er warf sich zu Boden und schlug mit seinem Arm auf den Boden ein, doch es schien nicht zu helfen. Dann verschlang ihn die Dunkelheit. Das prasseln des Feuers war verschwunden und hinterließ eine drückende Stille. Das letzte was er sehen konnte, bevor er das Bewusstsein verlor, war sein Arm, der zischte und rauchte.

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