Sonntag, 24. Mai 2015

"Home by the Sea" - von Caro

Das Meer rauschte laut im Hintergrund und übertönte fast das Kratzen der Nadel des Plattenspielers. Genesis tönte durch die Wohnung.
Langsam ging ich über die knarrenden Holzdielen hinüber zu meinem Schreibtisch, auf dem die Schreibmaschine stand. Tausend Gedanken sammelten sich in meinem Kopf und warteten nur darauf niedergeschrieben zu werden. Der Notizstapel hinten links auf den Schreibtisch war riesig. Die Notizen waren unordentlich, schnell hingeklatscht, aber das war okay so. So hatte ich das immer gemacht.
Ich stellte die Tasse Kaffee neben die Schreibmaschine. Dampf stieg von der Tasse auf und der Geruch der Bohnen erfüllte die ganze Etage und machte dieses angenehme Gefühl im Bauch. Dieses Gefühl, das morgens einsetzt, wenn man grade aufgewacht ist und als erstes in die Küche geht. Ohne diesen Geruch konnte ich den Morgen nie starten. Auch die Zeitung hatte ich schon fast durchgelesen. Nur den Sportteil ließ ich ihm über übrig. Er wollte ihn als erstes lesen.
Trotzdem hatte ich die Zeitung in der Hand und legte sie, als ich mich hinsetzte neben mich auf den
weichen Stuhl. Seufzend drückte ich die Zeilenumbruchtaste und legte ein neues Blatt ein.
Das Thema schwebte in meinem Kopf wie ein schlechtes Gewissen und ich spielte oft mit dem Gedanken es niederzuschreiben. Einfach alles.
Auch, wenn das ein Thema ist, über das ich nicht sprechen wollte, mich hatte es schließlich sehr viel Überwindung und auch Angst gekostet diesen Schritt zu gehen. Wählen, entscheiden, Dinge festlegen ist das Schwerste. Grade für mich, als sehr selbstkritischen Mensch, waren es ein paar schwere Tage, ein paar schlaflose Nächte, doch der Preis, der Preis war unbezahlbar.
Das Tippen der Tasten war laut, wurde jedoch von dem lallenden Sound der Platte übertönt. Immer wieder schaute ich raus aus dem Fenster und beobachtete die Wellen dabei, wie sie an der steinigen Küste brachen. Es war unglaublich beruhigend. Buchstaben wurde in schwarzer Tinte donnernd in das weiße Papier gepresst. Buchstaben, Worte, Sätze. 
Doch in den ruhigsten Momenten überkamen mich die Zweifel. Hatte ich die richtige Entscheidung getroffen? War es mein Recht in den geregelten Lauf den Lebens einzugreifen? Durfte ich das? War es in Ordnung? Es ging um ein Leben, hätte nicht jeder so gehandelt?
Zum 3. Mal wechselte ich das Papier, weil ich mich vertippt hatte. Ich kannte die Worte, die auf das Papier gehörten. Ich wusste, was ich schreiben musste. Ich hatte sie schon tausend mal gelesen und tausend Mal gedacht. Und sie kamen an, das wusste ich. Besser gesagt, sie würden ankommen. Bald. In ein paar Jahren.
Leise hörte ich unten das Schloss knacken und dann ertönten seine Schritte. Nicht schwer, eher kräftig, stark. Er war schon immer eher athletisch. 
„Hmm, Kaffee“, hörte ich seine tiefe Stimme durch das Haus tönen. Ich spürte sein Lächeln auf den Lippen förmlich. Dann stapfte er die Treppe hoch, seine Füße versucht leise zu sein, weil ich ihn so oft darum bat. Dann öffnete er die Türe, kam lächelnd in mein Arbeitszimmer. 
„Na, bist du fleißig am arbeiten? Irgendwann wirst du Bestsellerautorin. Tauende werden deine Worte lesen wollen. So wie ich“, lächelte er, legte seine Arme von hinten um meinen Oberkörper und küsste meine Schläfe. Ich lächelte.
„Ich weiß nicht“, sagte ich unsicher, dabei wusste ich es. Ich wusste was passieren würde.
„Ich schon“, antwortete er, obwohl er unwissend war. Er wusste nichts.
„Der Sportteil“, du bist spitze, danke“, sagte er und verschwand mit der Zeitung nach unten. Nach ein paar weiteren Minuten folgte ich ihm.
Ich schüttete ihm einen Kaffee ein und beobachtete ich ihn. Wie sehr hatte ich ihn vermisst. Ich hatte alles richtig gemacht. Hauptsache er war wieder bei mir. An meiner Seite.
Ich stellte den Kaffee neben die Zeitung, die er in der Hand hielt und schaute noch ein mal kurz auf das Datum „20. März 1984“.
Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, doch irgendwas in mir drin spürte, dass es richtig war. Ich hätte die Zukunft nie ertragen, da die Gegenwart schon zu sehr geschmerzt hatte. Es war nicht leicht mit der Wahl zu leben, aber von Tag zu Tag wurde es leichter und ich wurde mir immer sicherer. Es war die richtige Entscheidung die rote Pille gewählt zu haben.

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