Samstag, 9. Mai 2015

"Falling Skies" - von Caro

„Renn!“, schrie Finn. Adrenalin schoss in ihre Beine und sie sprintet los. Weg von den Menschen, weg von der Stadt, weg von alledem. Ihre Füße trugen sie in einem gleichmäßigen Tempo über das Feld. Unter ihren Füßen spürte sie die Reifenspuren, die der Mähdrescher oder der Traktor auf der trockenen Erde hinterlassen haben.
Es hatte seit Tagen nicht geregnet, also war die Erde steinhart. Manche Rillen bröckelten nur ein wenig und zwischendurch muss sie sich auffangen, weil sie weg knickte und stolperte. Durch ihre Schritte wirbelte sie Staub auf, der ihr das Atmen nicht grade leichter machte. Rasend schnell zog alles um ihr herum vorbei. In der Ferne sah sie Flammen, doch sie konnte sich darauf nicht konzentrieren. Sie hatte nur Finn vor sich im Auge. Sein dunkelbrauner Haarschopf wehte im Wind und ihr Herz schmerzte ein wenig bei dem Gedanken daran, was passieren würde.

„Wohin laufen wir?“, schrie sie ihm entgegen. Er drehte sich nicht um, rannte selber weiter.
„Ich, ich- weiß es nicht“, stotterte er, blieb trotzdem nicht stehen.
Ihr Beine liefen von alleine, sie brannten wie Hölle, doch sie lief einfach weiter. Kalter Wind zog an ihren Ohren vorbei und das monotone Zischen war das Einzige, was sie neben ihrem schnellen, hechelnden Atem hören konnte.
Obwohl es Nacht war, konnte sie dank des hellen Mondes halbwegs erkennen, wo sie hintrat. Vor
ihnen lagen Kilometer an Feld und es war kein Ende in Sicht. Sie rannten einfach.
Plötzlich traf sie etwas am Arm. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren ganzen Arm und hinterließ eine brennende Stelle auf ihrer Haut. Panisch schaute sie auf ihren Arm herab. Eine große Brandwunde ragte unter ihrem verkohlten Ärmel hervor. Sie wandte ihren Blick ab und schaute zum Himmel. Eine Sekunde überlegte sie, ob sie stehen bleiben sollte, weil was sie sah, schockierte sie, wie weniges zuvor, doch sie wusste, dass sie weiter rennen musste.
„Finn“, rief sie, doch er drehte sich nicht um.
„FINN!“, schrie sie. Er reagierte nicht. Sein Blick richtete sich nach oben und er wurde immer langsamer, bis er irgendwann zum stehen kam. Sie tat es ihm gleich und ihre Beine hämmerten träge die letzten paar Meter in den Erdboden, bis sie letztendlich neben ihm stehen blieb.

Ihr Herz hämmerte schnell und laut gegen ihren Brustkorb.
„Wir, wir-„, stammelte sie atemlos. Die brennende Lunge merkte sie erst jetzt. Der Hals kratzte und ihr Kopf schmerzte. 
„Am Ende des Feldes ist eine Flussufer, wir könnten-„, fing sie an, doch Finn unterbrach sie. „Was können wir? Wir können nicht weg, wir sitzen hier fest. Alle sitzen hier fest wir können nur nachgeben“. Er schwieg einen Moment und starrte in die Ferne.
Sie sah Angst in seinen Augen, doch seine Augen waren schwer. Als wäre er all das leid. Als hätten sie genug gesehen.
„Ich hätte nie gedacht, dass nachgeben so schwer ist“, flüsterte er und stapfte ein paar Meter durch die Getreidestoppeln, die sich über das ganze Feld zogen. Sie waren spitz und kratzten an ihren nackten Beinen, doch mittlerweile war es ihr egal. Auch die dreckigen Schuhe interessierten sie nicht. Der Wind, der über das Feld fegte war kalt, doch zwischendurch brachte er ein paar trockene, heiße Böen von den entfernten Bränden mit sich. Gänsehaut kroch über ihren Rücken.  Langsam liefen sie ein paar Meter weiter. Immer wieder fuhr neuer Schmerzen über ihren Körper und hinterließ schlimme Wunden auf ihrer Haut, doch sie konnte nichts dagegen tun. In der Ferne brannten Bäume, ganze Wälder hatten mittlerweile Feuer gefangen.
Finn blieb stehen und starrte erneut in den Himmel. Sie waren erschöpft. Kopfschüttelnd setzte er sich auf die staubige Erde und legte sich vorsichtig zurück. Mit ein paar ungelenken Bewegungen machte er es sich halbwegs bequem und schien ein paar Stoppeln platt zu drücken.
Sie tat es ihm gleich und legte sich direkt neben ihm. Ein komisches Gefühl machte sich in ihrer Mitte breit. Gleichgültigkeit löste die Angst ab und Ruhe durchströmte sie. Schreie und das Knistern von Feuer war in der Ferne zu hören. Immer wieder zuckten sie kurz zusammen, weil sie getroffen wurden.

Finn fing an zu lächeln und sie schaute fragend rüber. Er schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Hand. 
„Irgendwie seltsam, oder?“. Sie nickte nur.
„Ich habe es mir ganz anders vorgestellt. Wie immer alle sagen, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Ich dachte man fühle sich bedrückt, ängstlich und unruhig, aber ich hätte nie gedacht, dass Akzeptanz das Letzte sein wird, was ich spüre“, sagte er leise und in seinen Augen spiegelte sich das Brennen des Feldes um sie herum. Tausend Flammen zuckten mittlerweile zwischen den Getreideresten und sprangen von Halm zu Halm.
„Manchmal ist Akzeptanz das Letzte, was einem bleibt“, sagt sie leise. So leise, dass sogar Finn es nur schwer hören konnte, doch er nickte. Sie akzeptierten es. Immerhin war sie nicht alleine.

Der schwarze Nachthimmel war hell erleuchtet und mit dem Wissen, dass es hier zu Ende sein würde, schauten sie den Sternen beim Fallen zu.

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